Sie drehte mit Ingmar Bergman und arbeitete später selbst als Regisseurin: Nun gibt es einen Dokumentarfilm über Liv Ullmann. Wie blickt sie selbst auf ihr Leben?
Interview: Anke Leweke
Plötzlichsteht sie im Gedränge eines Kinofoyers in Lübeck. Ruhig blickt Liv Ullmann umsich, scheint auf Anweisungen zu warten. Seit über 40 Jahren ist dienorwegische Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Ehrenpräsidentin derNordischen Filmtage. Zum 65. Jubiläum des Festivals stelltesie gemeinsam mit dem Regisseur Dheeraj Akolkar dessen filmisches Porträt "LivUllmann – A Road Less Travelled" vor. Darin sagt sie übersich selbst: "Ich war nie ein Star und ich hatte nie das Bedürfnis, ein Star zusein." ZEIT ONLINE sprach mit Ullmann nach der Premiere in Lübeck.
ZEIT ONLINE: Liv Ullmann, Sie haben in Ihrem Leben schon unzähligeGespräche nach Ihren Filmen geführt, Fragen aus dem Publikum und vonJournalisten beantwortet. Dennoch schien diese Premiere keine Routineveranstaltungfür Sie gewesen zu sein.
Liv Ullmann: Ich bin kein geselliger Mensch, eher eine Einzelgängerin. Dennoch finde ich, dass es etwas Wunderbares sein kann, wenn man miteinander redet, den anderen wahrnimmt. Im besten Falle fühlt man sich auch selbst wahrgenommen und gesehen.
ZEIT ONLINE: Sie sagen in dem Dokumentarfilm über sich, Sie seien eine Frau, die es allen recht machen möchte …
Ullmann: Einmal war ich auf einem Festival mit meinem Aussehen sehrunglücklich, traute mich aber nicht, es zu sagen, weil ich die Friseurin nichtverletzen wollte. Gerade habe ich länger mit einem Mitarbeiter über meine ständige Sorge gesprochen, zu spät zu kommen. Er meinte, erselbst führe Zwiegespräche mit seinen Sorgen, sie seien ein Teil von ihm. Dabeihabe ich etwas gelernt: Man kann also auch mit seinen Sorgen und Zweifelnsprechen. Und: Andere Menschen machen sich ebenfalls Sorgen. Man ist nicht allein!
ZEIT ONLINE: Derindische Regisseur Dheeraj Akolkar, der das Porträt Liv Ullmann – A Road Less Travelled über Siegedreht hat, sagte, er habe Sie zunächst durchIhr Buch Gezeiten (1985) entdeckt, in dem Sie sehr eindrücklich IhreErfahrungen als Unicef-Botschafterin beschreiben.
Ullmann: Ich habe immer privilegiert gelebt. Und dann fragte michauf einmal jemand, ob ich mit zu einem Flüchtlingslager reisen möchte.Um nett zu sein, sagte ich Ja und wollte wissen, wie viel Zeit diese Reisebeanspruchen würde. Die Antwort war: "Bis ans Ende Ihres Lebens." Und so ist esauch. Ich denke, dass Künstlerinnen und Künstler gerade in diesen Zeiten eine extrem wichtigeRolle einnehmen können. Wir sind Gedankenvermittlerinnen, ob wir nun spielen,schreiben oder tanzen.
Ullmann ahmt die Armbewegung einerBallerina nach. Auf der Leinwand greift sie nicht aufgroße Gesten zurück, im Interview ist sie dagegen ständig in Bewegung,spricht lebhaft mit Händen und Füßen. Stets sucht sie Augenkontakt, ihr Blick ist aufmerksam, wach und offen.
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ZEIT ONLINE: InPersona von 1966 standen Sie zum ersten Mal vor Ingmar BergmansKamera. In dem Film spielen Sie die Bühnendarstellerin Elisabet Vogler, diewährend einer Aufführung von Elektra aufhört,zu sprechen. Hier verweigert sich eine Künstlerin ihrer Kunst. Weshalb?
Ullmann: Ich spielte eine Frau Mitte 30. Aber eigentlichverkörpere ich in dem Film Ingmar Bergman selbst oder besser: seine Ängsteund Zweifel, seine damalige Haltung zur Welt. Bergman (damals Mitte 40) zog sich damals mehr undmehr von allem und allen zurück. Er hatte Angst vor Gott, er hatte Angst vorseinem eigenen Atheismus, er hatte Angst vor dem, was in der Welt passierte.Es gibt in Persona die Szene, in der Elisabet Nachrichten schaut. Als siein einem Bericht den Mönch Thích Quảng Đức sieht, der sich inSaigon aus Protest gegen die Verfolgung der Buddhisten selbst anzündet, schreitsie lautlos. Vielleicht konnte Bergman seine Ängste,auch angesichts der aktuellen politischen Ereignisse, in meiner Figurausagieren.
ZEIT ONLINE: Persona besteht fastausschließlich aus Nahaufnahmen. Sie scheinen keine Angst vor der Kamerazu haben, Sie scheinen ihre Nähe geradezu zu suchen.
Ullmann: Wenn man das Gesicht von Menschen groß vor sich sieht,ihnen in die Augen blicken kann und auch die Zeit hat, das Gesicht zubeobachten, bemerkt man etwas, was die Personen selbst oft noch nicht zuwissen scheinen.
Wir sprechen über die Dreharbeiten von"Passion" aus dem Jahr 1969. Es war Ullmanns vierte Zusammenarbeitmit Bergman. Es geht um Anna (Ullmann), die Mann und Kind bei einem Autounfallverloren hat. Sie selbst saß am Steuer. Nach einiger Zeit geht sie eine Beziehung mitdem introvertierten Andreas ein.
Ullmann: Ingmar sagte: "Heute werden wir die längste Großaufnahmedrehen, die ich je gemacht habe. Du wirst Andreas von dem Autounfall erzählen.Und es wird herauskommen, dass deine Figur absichtlich gegen die Steinmauergefahren ist." Ich erwiderte, dass Anna keine Mörderinsei. "Okay", sagte Bergman, "lege in der Szene eine Pause ein und warte, waspassiert."
Liv Ullmann spielt die Szene quasinach. Ihre Stimme ist zunächst noch ruhig, wird langsam erregter.
Während der Autofahrt sagte derEhemann, dass er sich trennen wolle. Anna versteht die Welt nicht mehr: Wirlieben uns doch. Für eine Moment höre ich in mich und meine Figur hinein,richte meinen Blick quasi nach innen. Ich fühle, wie in meinem Körperetwas passiert. Plötzlich sehe ich eine Frau, die garnicht so weich ist, wie ich dachte, sondern sehr wütend. Sie fährtschneller und schneller und rast plötzlich auf die Steinmauer zu. Als ichdie Szene später auf der Leinwand sah, erkannte ich mein Gesicht selbstnicht wieder. Ich wurde während des Spiels immer röter, auch meineAugen. Ingmar hatte recht. Es war kein Unfall.